Die kleinen Freuden im Leben

Zeit für Glückseligkeit

Hygge daheim: Von der Lebenskunst, im Alltag vollkommene Momente zu kreieren, mit gutem Essen und Trinken, umgeben von geschätzten Dingen, in der Gesellschaft von Lieblingsmenschen.

Ein Essay von Sandra Henderson


Wenn draußen die Welt aus den Fugen gerät, ziehen wir uns intuitiv zurück in unser heimeliges Nest. Es braucht gar nicht viel, um daheim glückselig zu sein: Lieblingsmusik, den warmen Schein von Kerzenlicht, Wohlgeruch im Raum, ein bequemes Plätzchen, einen köstlichen Schmaus, ein gutes Glas Wein. Die kleinen Freuden im Leben eben. Das Schöns- te: Die werden größer, wenn man sie mit Leuten teilt, die man von Herzen gern hat. Einen Luxus soll man sich allerdings gönnen, um es zuhause schön gemütlich zu haben: Zeit.


Kostbare Augenblicke

Zeit ist knapp und kostbar. Alles, was uns verbindet und das Leben lebenswert macht – Geselligkeit, Familie, Freundschaft – nährt sich von Zeit. Anhalten lässt sich Zeit nicht. Sie zieht ins Land. Momente jedoch, in denen einfach alles passt – wenn wir im Flow sind – scheinen von unbe- stimmter Dauer. Zeit zerfließt in Gefühl. Dann, erst dann, treten wir langsam und leise genug, um das, was um uns herum geschieht, in Fragmente des Hier und Jetzt aufzudröseln, die wir genüsslich auskosten.

Wir verlieben uns in Augenblicke. In Seelenruhe. In die wunderbaren Freunde um uns herum, in die Hintergrundmusik, welche unaufdringlich unter die Haut geht, die Gespräche, die noch tagelang unsere Gedanken nähren werden, die kleinen Köstlichkeiten auf dem Tisch.


Glückseligkeit in kleinen Dosen

Freilich kann das Leben keine lückenlose Kette aufgefädelter Momente der Glückseligkeit sein. Man würde zerspringen. Nachhaltiges Glück ist gewebt aus Alltäglichem und Arbeit, aus Ritualen und Ruhepausen. Gesprenkelt mit Glanzmomenten. Glücklich ist, wer Glitzer über einen Moment streuen kann, egal wie wesentlich oder wie nebensächlich das ist, was man gerade tut.


Lieblingsstücke statt Krimskrams

Um ein Zuhause besonders wohnlich zu machen, braucht es wohl ausgewählte Details. Für alle Sinne. Wesentlich ist, sich nur mit schönen Dingen zu umgeben, die man wirklich liebt. Frei nach Marie Kondo: »Wenn du es umarmst und es dir keine Freude macht, weg damit.« Gesammelter Kaufhauskrimskrams fängt vermutlich mehr Staub, als entzückte Komplimente. Weniger ist mehr. Die ausgesuchten Gegenstände, denen wir Raum geben, sollen Bedeutung haben. Eine Geschichte erzählen. Wohlige Gefühle auslösen.


»Alles, was uns verbindet und das Leben lebenswert macht nährt sich von Zeit.«


Hübsch gerahmte Urlaubsfotografien zum Beispiel sind so viel mehr als Deko für Regal und Wand: Sie sind festgehaltenes Glück aus der Vergangenheit. Keramikschalen und Gläser, alle unterschiedlich und doch zusammenpassend, hier und da verträumt auf dem Trödel und in Designläden zusammengesucht. Erinnerungen an schöne Momente, mitgebracht von einem anderen Ort, aus einer anderen Welt. Details, welche, und das ist eine wesentliche Unterscheidung, gerade noch haltmachen, bevor selbst der zynischste Besucher denken könnte, das sei Kitsch. Wohlfühlobjekte vielmehr, die ein Haus in ein Zuhause verwandeln. Es geht, um Himmels Willen, nicht um eine neue Spießigkeit, sondern um einen bewussten, gestalterischen Umgang mit den Räumen, Dingen und Leuten, die uns umgeben. Um einen achtsamen Umgang mit unserer Zeit, die wir daheim verbringen.

ÜBER ZEIT

Nicht alle Zeit ist gleich. Tatsächlich kannten die Alten Griechen zwei unterschiedliche Vorstellungen von Zeit – Chronos und Kairos. Chronos ist die zähfließende, regelmäßige Zeit, die ihre Kinder verschlingt. Kairos war in der griechischen Antike ein Glücksgott der Zeit,der den rechten Moment erwischt. Das eine die chronologische Zeit, das andere ein Moment von unbestimmter Dauer. Eine einleuchtende Analogie dafür ist Silvester: Wir zählen den Countdown im Sekundentakt rückwärts – zehn, neun, acht ... das ist Chronos-Zeit, bestimmt und messbar. Schlägt die Uhr Zwölf, wechselt die Nacht in die Kairos-Zeit. Niemand zählt mehr. Wir leben nur noch im Augenblick und freuen uns, beieinander zu sein, miteinander zu feiern.

Schön hyggelig

»Hygge« (»Hügga« ausgesprochen) nennen die Dänen diese Lebensart, ungezwungen und unverfälscht glückselige Momente für sich selbst und seine Lieben zu inszenieren. Ursprünglich kommt der Begriff aus dem Norwegischen. Natürlich beschreibt auch unsere gute alte »Gemütlichkeit« eine warme Atmosphäre und Umgebung, in der man sich wohlfühlt. »Gemütlichkeit verträgt keine Aufregung, keinen Streit, keine sich aufdrängenden Sorgen.« Nicht einmal im Duden, wo dies so geschrieben steht. Genügt unser Wort also nicht? Nun, das Zukunftsinstitut schrieb vor nicht allzu langer Zeit im Zukunftsreport: »Der Hygge-Lebensstil ist Ausdruck einer neuen, sozialen Form von Geborgenheit.« Das Bedürfnis nach einer Form des Rückzugs sei tatsächlich ein fundamentaler humaner Instinkt.

Bezeichnend für die Hygge-Lebensart ist, sich auf kleine Dinge zu konzentrieren, mehr Zeit mit Freunden und Familie zu verbringen und die simplen Freuden des Lebens zu genießen. 

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