»Dinkelsbühler Gästebuch«

Betrachtungen von Besuchern unserer Stadt


Der pensionierte Gymnasiallehrer, ehemalige »Funkfeuer«-Redakteur und engagierte Altstadtschützer Ernst-Otto Erhard beschäftigt sich ausgiebig mit der Geschichte Dinkelsbühl. Bei seinen Recherchen entdeckte und sammelte er viele teilweise noch unbekannte Texte in den Archiven der Stadt, die, so glaubte er, auch für die Einheimischen interessant sein könnten. 


Fremderfahrungen aus vier Jahrhunderten

So entstand sein »Dinkelsbühler Gästebuch«, eine Sammlung von Texten aus vier Jahrhunderten. »Ein Gästebuch in dem Sinn, dass Fremde nach Dinkelsbühl gekommen sind und auf sehr unterschiedliche Weise etwas über ihre Erfahrung hier geschrieben haben«, erklärt Ernst-Otto Erhard. Die ausgewählten Texte aus dem 17. bis zum späten 20. Jahrhundert reichen von »strohtrockenen Berichten« und einer sehr interessanten, vom König befohlenen medizinischen Abhandlung über den Gesundheitszustand in der Stadt bis hin zu Gedichten. 

Hier ein Auszug aus dem Text »Ein Auftrotzen gegen die veränderte Zeit« von Fritz Gräntz, geschrieben 1909 und veröffentlicht im »Dinkelsbühler Gästebuch«, herausgegeben von Ernst-Otto Erhard:


»... Durch ein Stadtmauerpförtchen schlüpfe ich in den Kreuzgang des ehemaligen Kapuzinerklosters, wohl den kleinsten und verstecktesten, den ich je sah. Das umschlossene Viereck ist ein einziges Farnkrautgärtchen. Blumen wollen hier, des gedämpften Lichtes halber, nicht gedeihen, sagt die Handwerkersfrau, die mir geöffnet hat. In der Sakristei der Spitalkirche zeigt man mir einen Christus am Kreuz von van Dyck. Ich will die frühgotische Dreikönigskapelle betreten und finde einen Schafstall. Ich schlendere in der Mittagssonne um Mauer und Stadt. In den Gräben sind Gärten und Anlagen, auf den Wällen Laubengänge, lustiger und grüner als in Nördlingen. Die stillen Weiher, das träge Wörnitzwasser leuchten gelb und weiß von Seerosen. Über weißblühende Spierstauden, über Schilf und Igelkolben des Ufers geht heiße Luft. Rüstern und hängende Weidenzweige legen ihre schwankenden Schatten auf Wasserblumen und sattgrüne Schwimmblätter. Blaue Storchschnabelwiesen, hier und dort von glänzenden Flecken bleichender Wäsche unterbrochen, dehnen sich sommerfroh ins Land hinein. Drüben aber begleitet mich getreulich die Mauer mit Toren und Türmen. Es ist ein rhythmisches Auf und Ab des Malerischen, das sich an manchen Stellen, wie am Rothenburger Tor, am Bäuerlinsturm, an der wehrhaften Stadtmühle, zu den prächtigsten Bildern steigert. In einem breiten Lindenschatten, der abseits, neben Feldern und verwitterten Bildstöckchen, den Rasen kühlt, lege ich mich hin, Windrauschen über mir und lautes Bienengetön. 

Der Hechtwirt im Zwinger am Segringer Tor ist ein gesprächiger Mann und läßt mich nicht los. Wie ihm die stolzen ›Nör’linger‹ nicht gefallen wollen, wie er sich nach einer kurzen Reise immer herzlich freue, wenn er wieder daheim auf seinem Dinkelsbühl sei, wie Studenten und studierte Leute, Dänen und Norweger, die vor Jahren in seinem schattigen Zwingergärtle gesessen hätten, immer noch Grüße schickten, wie die Goldene Kanne durch neumodische Aufmachung und Feinheit die Goldene Rose übertrumpfen wolle, und wie sich der Kannenwirt dabei hoffentlich verrechne, wie bedauerlich es sei, dass ich nicht am Tage der Kinderzeche, des alten jährlichen Sommerspiels, da gewesen sei, wie man dann, wenn die Kanonen donnern, wahrhaftig glauben könne, die Schweden stünden wieder vor den Toren, wer hörte das alles nicht gern an? ...«


Mehr in Print: In der Erstausgabe des DREIBERG magazins lest ihr unser Schaukelstuhlgespräch mit Ernst-Otto Erhard über Kleinstädtisches und wie der Autor im Lauf der Jahre Dinkelsbühl doch noch lieben lernte.

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